Eine breite Basis für Gesundheitsinnovationen schaffen
Experimentelle Methoden und moderne Technologien sind ein wichtiger Treiber für Innovationen in der biologischen und medizinischen Forschung. Dazu gehören beispielsweise innovative, rechnergestützte Methoden sowie die Anwendung von Hochdurchsatzverfahren in der medizinischen Genom-, Proteom- oder Metabolomforschung. Die erste Sequenzierung eines menschlichen Genoms Anfang des Jahrhunderts steht für den Beginn der ersten genomischen Revolution. Mittlerweile spielt die Analyse von Genen bei Prävention, Diagnose und Verlaufskontrolle vieler Erkrankungen eine wichtige Rolle.
Mit der zunehmenden Verbreitung von Hochdurchsatzverfahren in der medizinischen Genom-, Proteom- und Metabolomforschung ist jetzt der Weg frei für eine breite Anwendung der personalisierten Medizin und ihre zunehmende Translation in die Versorgungspraxis. Doch auch die zweite genomische Revolution hat schon begonnen: Technische Entwicklungen ermöglichen es heute, aus einer einzelnen Zelle einen molekularen Fingerabdruck zu erstellen. Damit wird das Problem umgangen, dass entnommene Gewebeproben immer Mischungen verschiedener Zellen sind, wodurch zum Beispiel die Diagnostik an Krebszellen durch die in der Probe ebenfalls vorhandenen gesunden Zellen gestört wird.
PatientennutzenModerne Hochdurchsatzverfahren entschlüsseln heute schnell und präzise ganze Genome. Damit werden etwa in der Krebsbehandlung Therapien möglich, die vor zehn Jahren noch undenkbar gewesen wären. Bereits heute wird beispielsweise bei Lungenkrebs das genetische Profil einer Tumorprobe bestimmt und die Behandlung entsprechend angepasst. Doch ein Tumor besteht aus vielen verschiedenen Krebszellen mit unterschiedlichen Profilen, eine Tumorprobe stellt ein Gemisch dieser Zellen dar. Zukünftig wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Einzelzellanalysen durchführen, um jede Zelle des Tumors und ihre Eigenheiten zu erfassen. So kann der Krebs noch wirkungsvoller bekämpft werden.
Die Erkenntnisse der genomischen Revolutionen zeigen vor allem eins: Die komplexen Vorgänge, die über Gesundheit und Krankheit entscheiden, dürfen nicht voneinander isoliert betrachtet werden, ihr Zusammenspiel ist ausschlaggebend. Moderne Hochdurchsatzverfahren haben auch die Bedeutung der Mikrobiomforschung maßgeblich gesteigert. Die Vielzahl von Mikroorganismen auf, im und um den menschlichen Körper können erfasst und ihre Funktionen analysiert werden.
Das Mikrobiom ist bei jedem Menschen einzigartig und spielt offenbar eine wichtige Rolle bei der Entstehung chronischer Erkrankungen wie beispielsweise Diabetes oder Krebs. Die Charakterisierung dieses „mikrobiellen Fingerabdrucks“ und seiner Veränderungen im Lebensverlauf eröffnen möglicherweise bisher weitgehend unbekannte Ansatzmöglichkeiten für Prävention und Therapie.
Schlüsseltechnologien schaffen die Grundlage für zahlreiche Gesundheitsinnovationen.
So entwickelt beispielsweise die Materialforschung innovative, biokompatible Materialien, die sich in den menschlichen Körper integrieren und die Heilung beschleunigen. Flexible und effiziente Produktionstechnologien und-systeme ermöglichen die Herstellung patientenindividueller Produkte und hochfunktionaler Therapie- und Diagnosegeräte.
Verbesserte Verfahren der additiven Fertigung eröffnen neue Möglichkeiten auf dem Gebiet des Bioprintings – dem 3D-Druck von Biomaterialien. Dies könnte zukünftig die Verfügbarkeit von verträglichem Gewebe- oder Organersatz verbessern. Neue optische Technologien ermöglichen verbesserte Bildgebungsverfahren für eine präzisere, frühzeitige Diagnose und eine schnellere Vor-Ort-Analytik.
Hierzu trägt auch innovative Leistungselektronik und -sensorik bei. Dabei stehen zunehmend integrierte Systeme im Fokus, die über eine eigene Datenverarbeitung verfügen und so in der Lage sind, verschiedene diagnostische oder therapeutische Verfahren zu steuern und eine effiziente, minimalinvasive und schonende Untersuchung und Behandlung zu ermöglichen.
Wir werden zukunftsweisende Forschungsfelder und Technologieentwicklungen stärken. Damit schaffen wir eine breite wissenschaftlich-technologische Basis für Gesundheitsinnovationen, die bei Prävention, Diagnose und Therapie von Krankheiten helfen können. Schwer- punkte werden dabei sein:
Pionierforschung in der Biomedizin verlässlich unterstützen und Freiräume für Kreativität eröffnen
Meilensteine in Wissenschaft und Gesellschaft sind meist das Ergebnis von neuartiger, oft grundlagenorientierter und risikoreicher Forschung. So ermöglichte die Entdeckung der Genschere bei Bakterien etwa die Gen-Editierung in größerem Stil auch in anderen Organismen. Dabei entstehen neue Ideen und spannende Erfindungen nicht immer nur durch gezielte Forschungsarbeiten, sondern oft durch ein unerwartetes Zusammentreffen von Menschen mit unterschiedlichen Expertisen und Bildungshintergründen in neuen, nicht alltäglichen Umgebungen. Dies gilt auch und gerade für Sprunginnovationen, die sich durch eine radikale technologische Neuheit auszeichnen und damit ganze Märkte verändern können. Ein Beispiel dafür ist die Genschere.
Um langfristig international konkurrenzfähig zu bleiben, wird das Bundesministerium für Bildung und Forschung die Überführung von Ideen aus Forschung und Entwicklung in die Anwendung mit Potenzial für Sprunginnovationen gezielt fördern.
Dazu wird eine spezialisierte Förderorganisation gegründet, Innovationswettbewerbe und Spitzenprojekte sollen gefördert werden. In Frei- und Experimentierräumen sollen mithilfe themen-, disziplin- und technologieoffener Ansätze gesellschaftlich relevante Herausforderungen und Problemstellungen gelöst werden. Für die Unterstützung von neu in der Gesundheitsforschung entstehenden Innovationsfeldern wird das Bundesministerium für Bildung und Forschung zudem die Förderung von innovativen Netzwerken intensivieren: Insbesondere an den Schnittstellen von Branchen, Wissenschaftsdisziplinen und -kulturen sollen neue Anwendungsfelder und Technologien mit Erneuerungspotenzial für die deutsche Gesundheitswirtschaft entstehen.
Entwicklung neuer Methoden in der Gesundheitsforschung vorantreiben
Jeden Tag wird das „System Mensch“ auf vielfältigste Weise auf unterschiedlichen Ebenen bestimmt – von den Molekülen über die Zellen, das Mikrobiom, die Gewebe und die Organe bis hin zur Psyche – und zudem durch die Umwelt und das soziale Umfeld beeinflusst. Diese Einflüsse von Genetik und Umwelt und die Reaktionen des Körpers darauf zu sammeln, zu modellieren und zu analysieren ist Aufgabe der Systemmedizin.
Sie verknüpft dabei Daten aus Genom, Proteom, Metabolom und Mikrobiom mit klinischen Befunden und Bildgebungsdaten, um die verschiedenartigen Abläufe in unseren Zellen und Organen und die darauf einwirkenden individuellen Einflüsse und Störungen als Ganzes zu verstehen. Dafür arbeiten Forschende über Fachgrenzen hinweg zusammen. Das Ziel der Systemmedizin ist es jedoch nicht nur, Krankheitsmechanismen besser zu verstehen, sondern daraus auch individuelle Vorbeugungs- und Behandlungsmöglichkeiten abzuleiten – als Wegbereiter für die personalisierte Medizin.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung wird die Systemmedizin und die dazu notwendigen Wissenschaftsentwicklungen sowohl innerhalb Deutschlands als auch in internationaler Zusammenarbeit weiter vorantreiben. Neue Technologien sollen Forscherinnen und Forschern zum Beispiel helfen, die molekularen Lebensprozesse in Zellen und Organismen noch besser zu verstehen.
Die Medizininformatik muss Lösungen für die Verknüpfung von Daten aus der klinischen Behandlung mit Daten der biomedizinischen Forschung entwickeln.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in ganz Deutschland benötigen einen verlässlichen Zugang zu zukunftsweisenden „Omics“-Technologien und hochinnovativen Analyseverfahren. Dies ist auch notwendig, damit Deutschland an internationalen Großprojekten teilhaben kann. In dem aktuell größten internationalen Projekt in den Lebenswissenschaften, dem Humanen Zell-Atlas, wird unter Beteiligung Deutschlands eine Karte aller menschlichen Zellen erstellt.
Zusammenwirken von Gesundheitsforschung und Schlüsseltechnologien stärken
Innovationspotenziale werden künftig ganz wesentlich auch an der Schnittstelle zwischen Lebenswissenschaften und den Schlüsseltechnologien zu heben sein. Die Verbindung von Biotechnologie, der Digitalisierung, der Nanotechnologie, neuen physikalisch-chemischen Analysemethoden und anderen Technologien wird gänzlich neue Möglichkeiten und Erkenntnisse in der Gesundheitsforschung schaffen. Die Bundesregierung wird daher unter dem Dach der ressortübergreifenden Agenda „Von der Biologie zur Innovation“ vor allem auch das Zusammenspiel von Lebens- und Technikwissenschaften durch disziplinübergreifende Ansätze stärken.
Ein Element der Agenda werden neuartige Therapieverfahren sein, die patienteneigene Ressourcen nutzen, wie etwa die Zell-, Immun- und die somatische Gentherapie oder das „Tissue Engineering“. Hier wird die Bundesregierung einschlägige Forschungsaktivitäten bündeln, da die regenerative Medizin das Potenzial hat, nicht nur Symptome von Krankheiten zu lindern, sondern bisher unheilbare Krankheiten gänzlich zu besiegen.
Ethische, rechtliche und soziale Aspekte der Lebenswissenschaften von Anfang an berücksichtigen
Glaubwürdigkeit, Verlässlichkeit und Offenheit sind für die Bundesregierung wichtige Leitgedanken für eine Gesundheitsforschung, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht. Dafür ist es wesentlich, dass die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von Anfang an in einen fundierten gesellschaftlichen Dialog zu möglichen Auswirkungen ihrer Forschung treten. Die ethische Reflexion in den Wissenschaften ebenso wie die diesbezügliche Kommunikation mit Politik und Gesellschaft sind auch zur Erhöhung des Stellenwerts von Forschung in der Gesellschaft unerlässlich.
Es ist das Anliegen der Bundesregierung, den bestmöglichen Rahmen zu schaffen, um Forschung und Fortschritt für die Gesellschaft zu ermöglichen und diese gleichzeitig verantwortbar auszugestalten. So unterliegen zum Beispiel Forschung und Entwicklung zu Arzneimitteln und Medizinprodukten zahlreichen rechtlichen Vorgaben auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene.
Gesundheitsforschung und medizinischer Fortschritt berühren häufig besonders sensible Lebensbereiche und fordern bestehende Wertvorstellungen heraus. Es ist unerlässlich für eine Gesellschaft, sich frühzeitig mit den sich daraus ergebenden ethischen, gesellschaftlichen und rechtlichen Fragen zu befassen.
Der Deutsche Ethikrat leistet wichtige Beiträge zum gesamtgesellschaftlichen Diskurs und berät mit seinen Stellungnahmen Parlament und Regierung. Im Förderschwerpunkt „Ethische, rechtliche und soziale Aspekte in den Lebenswissenschaften“ (ELSA) werden wichtige Impulse für Wissenschaft, Gesellschaft und Politik erarbeitet. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung begleitet insbesondere mit seinen ELSA-Maßnahmen die Entwicklung neuer Technologien und den raschen Einsatz innovativer Methoden in der Gesundheitsversorgung seit vielen Jahren.
Das Bundesministerium für Gesundheit fördert zudem Vorhaben zu gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen und ihren ethisch relevanten Auswirkungen auf das Gesundheitswesen, insbesondere zu den Auswirkungen der Digitalisierung und des demografischen Wandels. In den Lebenswissenschaften wird es dadurch zunehmend selbstverständlich, bei der Forschung mögliche ethische und rechtliche Fragen ebenso von Anfang an mitzudenken wie soziale Aspekte, zum Beispiel psychosoziale und sozioökonomische Auswirkungen der Nutzung neuer molekularbiologischer Technologien.
Addendum COVID-19 Forschung:
Für die Zukunft wollen wir sicherstellen, dass Deutschland für gesundheitliche Krisensituationen ausreichende Kapazitäten für die Entwicklung und Produktion von Arzneimitteln und Impfstoffen vorhält. Dazu wollen wir europäische Aktivitäten durch den Aufbau geeigneter nationaler Strukturen und Maßnahmen unterstützen. Mit Blick auf zukünftige Gesundheitsherausforderungen wollen wir die technologische Souveränität und rasche Handlungsfähigkeit in Deutschland und Europa sicherstellen.
Forschung und Entwicklung von Impf- und Wirkstoffen langfristig stärken